„Einen Plan B müssen wir jetzt immer in der Tasche haben!“

Die LVZ berichtete am 27.06.20 über Nancy Hochstein, die Vorsitzende des Stadtelternrates.

LVZ: Die Kultusministerkonferenz hat angekündigt, nach den Sommerferien die Schulen wieder vollständig zu öffnen und zum Normalbetrieb zurückzukehren – sofern es die Infektionslage zulässt. Wie finden Sie das?

Hochstein: Grundsätzlich ist alles gut, was den Kindern wieder Normalität schafft. Wir sollten uns aber klar sein, dass es nach neuen Corona-Fällen auch wieder zu Einschränkungen – wie jüngst bei einer Klasse in Anger- Crottendorf – kommen kann. Das ist eine neue Normalität, die aber nicht dazu führen darf, jedes Mal in Hysterie auszubrechen. Dazu gehört, die Eltern sofort und als erste über Infektionsfälle zu informieren.

LVZ: Derzeit gibt es einen eingeschränkten Betrieb, der sich je nach Schule unterscheidet. Eine Zeit lang konnten Eltern sogar selbst entscheiden, ob sie ihre Kinder auf die Grundschule schicken oder nicht. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?

Hochstein: Schön ist die nicht. Die Schulen, die Eltern und Lehrer, tun alles, um den Kindern soviel Normalität wie möglich zu bieten. Das funktioniert in den Grundschulen ganz gut. Schwieriger wird es bei Gymnasien und Oberschulen, wo es sehr unterschiedliche Konzepte gibt. Wenn Schüler nur einen Tag pro Woche in die Schule dürfen, ist das ein riesiger Eingriff. Viele fühlen sich alleine und alleine gelassen.

LVZ: Es gibt einen Wechsel zwischen Präsenzunterricht und Homeschooling. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Hochstein: Wer keinen Drucker zu Hause hat, kann sich keine Aufgaben ausdrucken. Die Digitalisierung an den Schulen sollte endlich in den Fokus rücken, unabhängig von solchen Katastrophen. Corona hat uns mit der Nase auf viele Probleme im Schulsystem gestoßen. Es ist nicht mehr zeitgemäß, muss reformiert werden. Aber auch da müssen wir realistisch sein. So einen Fall wie Corona gab es noch nie.

LVZ: Was wollen Sie reformieren?

Hochstein: Das Bildungssystem orientiert sich vorrangig an der Wirtschaft. Volle Klassen, möglichst schneller Durchlauf, damit die Schüler der Wirtschaft zur Verfügung stehen. Wir müssten aber den Fokus darauf legen, wie wir beispielsweise gesund leben können oder wie sich Kinder und Jugendliche mehr bewegen. Deswegen bin ich auch angetreten. Mit der Digitalisierung ändert sich die Art des Lernens. Natürlich funktioniert dies nicht in drei Monaten, wie das Homeschooling gezeigt hat. Abgesehen davon, dass nicht alle die notwendige Ausstattung haben. Junge Lehrer, die technikaffin sind, haben da ganz andere Voraussetzungen.

LVZ: Was muss sich bei der digitalen Ausstattung der Schulen ändern?

Hochstein: Wir brauchen keine verrückten Apps. Es muss zunächst ein Konzept her, um einen Klassenraum digital abzubilden. Damit beispielsweise Online-Unterricht möglich ist, wenn dieser notwendig wird, und dabei alle Schüler erreicht werden. Da ist auch die Bundesregierung in der Pflicht, die jetzt einen Kinderbonus von 300 Euro auszahlt. Das Geld wäre besser angelegt, beispielsweise um Kinder aus sozialschwachen Familien mit Leihgeräten auszustatten.

LVZ: Wie ernst wird der Stadtelternrat in Leipzig von Verwaltung und Stadtrat genommen?

Hochstein: Da können wir uns nicht beschweren. Es gibt einen guten Draht. Hilf- reich wäre aber, eine Bildungsservice-Hotline für ganz Sachsen. Dort könnten Eltern dann telefonisch nachfragen, was bestimmte Beschlüsse konkret für sie bedeuten.

LVZ: Was sind die gravierendsten Probleme in den Schulen, die gelöst werden müssen?

Hochstein: Der Platzmangel! Die Klassenräume waren schon vor Corona total überfüllt. Das muss sich ändern. Lehrer und vor allem Schulsekretäre haben eine hervorragende Arbeit geleistet, um Eltern kurzfristig zu informieren. Dennoch müssen sich Kommunikationswege verbessern. Es ist auch nicht nachzuvollziehen, warum Lernräume im Freien wie „grüne Klassenzimmer“ nicht genutzt werden. Das war nicht ge- stattet, damit Kinder nicht zu viele Kontakte haben. Aber das hat ihnen wohl eher geschadet, zumal ja viele Wochen auch die Spielplätze gesperrt waren. Das soziale Miteinander ist für Kinder sehr wichtig. Einen Plan B müssen wir jetzt immer in der Tasche haben. Viele wünschen sich zwar, dass Corona nach den Sommerferien weg ist. Doch ob das wirklich so ist, wird sich zeigen. Meckern kann jeder. Aber auch wir Eltern müssen uns fragen, wo wir Schulen unterstützen können. In der Bildung ist viel möglich – dafür brauchen wir aber alle mehr Mut.